Vorweg...
muß ich gleich schicken, daß auch ich Auto fahre. Aber gerade deshalb weiß ich auch, daß man als Autofahrer Fehler macht,
die eventuelle Motorradfahrer gefährden können.
In den folgenden Abschnitten werde ich bestimmte Probleme von Motorradfahrern (im Folgenden: Biker) im normalen Verkehr
ansprechen und Problemlösungen, die sich bei mir in meinen mittlerweile über 40.000 Motorradkilometern bewährt haben.
Aufmerksamkeit erzeugen
Zunächst erst mal ein paar Statistiken, um meine Vorschläge und Einstellung zu begründen.
Über 80% der Unfälle mit Motorrädern werden von Autofahrern verschuldet. Nur die restlichen 20% gehen wirklich auf Fahrfehler
oder schlechten Fahrbahnbelag (und damit eigentlich auch auf einen Fahrfehler, da man mit so etwas immer rechnen muß)
zurück.
Einen Großteil der Unfälle mit Autofahrern als Verschuldern stellen die Vorfahrtsdelikte. Welchen Motorradfahrer wurde
noch nicht die Vorfahrt genommen? Selbst wenn man (wie es sehr richtig in der Fahrschule gelehrt wird) mit dem Fahrer noch
vor dem Einbiegen Augenkontakt herstellen kann, wurde auch ich sehenden Auges geschnitten, ausgebremst, abgedrängt und
auf andere Arten gefährdet. Man kann förmlich in den Augen des anderen lesen: "Das reicht noch..."
Und da liegt das Problem der Biker. Häufig wird einfach die Geschwindigkeit von Motorrädern unterschätzt. Das mag verschiedene
Ursachen haben:
- Fehlende Erfahrungswerte
Viele Autofahrer, die noch nicht selbst auf einer Maschine gesessen haben, unterschätzen einfach, wie schnell ein Motorrad
Geschwindigkeit gewinnt oder es wird aus Entfernung und geschätzter Geschwindigkeit einfach die falsche
Aufenthaltswahrscheinlichkeit am Einfahrtsort interpoliert, was uns zum nächsten Punkt bringt...
- Anwendung falscher Erfahrungswerte
Ein Motorrad beschleunigt schneller als ein Auto (an die Autofahrer: bei weitem schneller! Selbst 'kleinere' Maschinen
erreichen Werte, die einen Porsche Boxster - 5,5 sek 0-100 km/h - alt aussehen lassen; und die etwas 'größeren' kommen
in den Bereich eines Formel 1 Wagens - ca. 2 sek von 0 bis 100 km/h -, und mit dem, meine lieben Autofahrer, glaubt ihr
doch auch nicht mithalten zu können, oder?) und eine Geschwindigkeitsschätzung ist schwieriger aufgrund der geringen
Baubreite; deshalb mein Tip: immer davon ausgehen, daß der Biker seeeehr schnell unterwegs ist.
- Ignoranz
Das sind dann die Autofahrer, die wirklich glauben, daß sie noch schnell vor einem Bike rausziehen können, wenn sie nur
genug Gas geben. Bestes Beispiel hier ist immer: Ich fahre in einen Kreisverkehr und ein Autofahrer sieht mir noch in die
Augen und zieht einfach raus. Daß ich in Schräglage nicht bremsen kann und ein Motorrad genügend Energie mitbringt, um
auch bei etwas über 30 km/h bis zur Handbremse in das Auto einzudringen und auf dem Weg dahin den Fahrer des Autos ein
wenig verbiegt, wird geflissentlich ignoriert. Lacht nicht. Ist mir schon so oft passiert, daß ich schon beim Erkennen der Absicht
meinen linken Daumen zur Hupe bewege.
Womit ich schon ein Mittel vorschlagen möchte, dessen man sich bedienen sollte, wenn vorausschauendes Fahren mal
wieder nicht gereicht hat. Benutzt die Hupe! Dafür ist sie da. Zum Warnen in Gefahrensituationen. Und wenn ein Autofahrer im
Stadtverkehr mal wieder alles in der Fahrschule Gelernte aus seinem Geist verbannt hat und ohne zu blinken und einen Schulterblick
zu machen die Spur wechselt, ist das definitiv gefährlich. Ich kann viel von jähem Erschrecken berichten (Stuttgart...), wenn
1,5 Meter neben dem Fahrer plötzlich eine Hupe ertönt.
Daher auch mein nächster Tip für das Fahren auf mehrspurigen Straßen:
- Nie im toten Winkel eines Autos fahren. Lieber eine größere Lücke zum Vordermann aufreißen lassen.
Wenn man aber mal neben einem Auto herfahren muß, dann so weit wie möglich im Sichtbereich des Fahrers.
- Blickkontakt suchen!
- Ruhig mal den Motor aufheulen lassen, um sich akustisch in Erinnerung zu bringen, wenn der Autofahrer einen nachlässigen
Eindruck macht.
- Hupen beim Ansatz für ein Gefahrenmoment. Wenn es knapp wird, ist es zu spät, da der Autofahrer ja auch noch eine
Reaktionszeit hat, in der er nicht handelt. Z.B. wenn das Auto aus seiner Fahrspur abkommt (absichtlich oder auch
nicht). Mit dem Schreck und der unangenehmen Erinnerung daran, wird der Autofahrer demnächst etwas aufmerksamer durch den
Verkehr wandeln. Man tut sich damit also nicht nur selbst einen Gefallen.
Überholen =: Aufschnupfen
Bei Touren fährt man hin und wieder auf eine Gruppe von Autos auf, die sich mit weniger als der eigenen Wunschgeschwindigkeit
fortbewegen. Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten: Sich hinten anstellen und hinterherdackeln (wenn die Gruppengeschwindigkeit nur
um wenige km/h [<20] von der Wunschgeschwindigkeit abweicht, ist das auch zu empfehlen) oder man überholt.
Bei anspruchsvoller Streckenführung oder in den Bergen birgt aber das Hinterherfahren noch die Gefahr in sich, durch die
grundverschiedenen Brems- und Beschleunigungspunkte aufzufahren oder zumindest gewagte Ausweichmanöver starten zu müssen.
Dann sollte man entweder rechts ran fahren und die lange fällige Pause einlegen oder an einer passenden Gelegenheit überholen.
Beim Überholen oder auch - in Anlehnung an einen EuroSport-Kommentator -
Aufschnupfen gibt es grundsätzlich einmal zwei Ansätze, die man nicht als Alternativen, sondern als situationsangepaßte Optionen
verstehen sollte: Da haben wir die All-In-One-Lösung, bei der man eine Gruppe von Fahrzeugen mit maximaler Geschwindigkeit
passiert. Und dann wäre da noch die Salami-Taktik (der Name kommt von der Verfahrensweise: man überholt Stück für Stück),
bei der man mit relativ geringer Überschußgeschwindigkeit jedes Fahrzeug der Gruppe einzeln überholt.
Die Anwendungskriterien hängen unter anderem von der Größe der zu überholenden Gruppe, der eigenen Motorleistung, den
Wetterverhältnissen und der Übersichtlichkeit der Stelle ab, an der man überholen möchte. Am besten, ich bespreche die einzelnen
"Verfahren" anhand ihrer Rahmenbedingungen.
All-in-one Lösung
- Nur bei relativ kleinen Auto-Gruppen (weil: so viel Platz, wie man für eine größere braucht, hat man meist nicht).
- Für Fahrer gedrosselter Maschinen ungeeignet, da wir hier von 80 bis 100 km/h der Zielgruppe ausgehen und 40 km/h
Überschußgeschwindigkeit aus dem Stand heraus erst mal erreicht sein wollen, zumal mit gesenkter Motorleistung. Auch
das Argument, man könne ja schon mit viel Überschuß von hinten kommen, zählt nicht, da dann auf jeden Fall zu wenig Zeit ist,
um die Verkehrslage (Gegenverkehr, Anzahl der Zielfahrzeuge, Geschwindigkeit der Ziele) richtig einzuschätzen und nicht
vor lauter Laß-mich-auch noch hinten in die Gruppe aufzufahren.
- Bei nasser Fahrbahn oder Seitenwind nicht anwenden. Die 60 oder mehr km/h Überschuß muß man erst mal wieder abbauen
können (z.B. vor Erreichen der nächsten Kurve). Seitenwind ist bei hohen Geschwindigkeiten besonders gefährlich, weil
er hier schnell mal in einem Spurversatz von über einem Meter endet, den man auch erst mal Platz haben muß.
- Bei kleinen Gruppen muß man natürlich nicht sonderlich weit den Gegenverkehr einsehen können, aber schon mittlere
Gruppengrößen verlangen wegen der Addition der Geschwindigkeiten (minus entgegekommender Verkehr plus eigene) seeehr
viel Platz, den man einsehen können muß.
- Man sollte sich immer im Klaren darüber sein, daß man diesen Überholvorgang nicht so ohne weiteres abbrechen
kann, da die hohe Überschußgeschwindigkeit ein plötzliches Wiedereinscheren in die Gruppe verhindert. Außerdem sollte man
darauf achten, daß man nach dem Überholvorgang zumeist deutlich schneller ist und eine Kurve möglicherweise so zum Problem
werden kann, die vorher nicht mal eine richtige Kurvenstrategie erfordert hat. Gerade darauffolgende Linkskurven
können nach einem späten Wiedereinscheren mit hoher Geschwindigkeit zu einem Problem werden. Laßt euch das von einem sagen,
der schon schwer überrascht wurde...
Salamitaktik
- Für alle Gruppengrößen geeignet.
- Motorleistung nur von untergeordneter Rolle. Natürlich sollte beim kurzen Ausscheren, Aufziehen und wieder Einscheren
möglichst wenig Zeit vergehen, da man aber meist nur 20 bis 30 km/h Überschuß erreicht/erreichen sollte bevor man wieder
einschert, reichen 34 PS eigentlich aus.
- Nasse Fahrbahn und Seitenwind spielen keine so große Rolle, da man nicht gezwungen ist, viel schneller als die Gruppe
zu fahren. Und wenn die Gruppengeschwindigkeit (nicht die physikalische, hehe ...) schon zu hoch für diese Verhältnisse ist,
dann sollte man sowieso nicht ans Überholen denken.
- Es sollten sogar unter 100m (eher so 50m) Sicht reichen, um an einem Auto mit ca. 5m Länge vorbeizukommen. Natürlich ist
dieser Wert von der eigenen Geschwindigkeit abhängig.
- Grundsätzlich bietet dieses Verfahren deutlich mehr Sicherheitsreserven, da ein Einscheren jederzeit möglich ist. Selbst
bei nasser Fahrbahn sollte es möglich sein, 20 bis 30 km/h noch innerhalb des Sicherheitsabstandes zweier Autos abzubauen.
Man sollte nur beachten, daß die wenigsten Autofahrer einen ausreichenden Sicherheitsabstand einhalten.